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Kammermusikfest Lockenhaus 2019 – Die Frage nach der Authentizität

Kammermusikfest Lockenhaus 2019 – Die Frage nach der Authentizität

Ich lade natürlich kein hässliches Bild von mir auf Instagram hoch. Oder auch eines, auf dem ich traurig bin. Sondern nur positive Sachen. Jedes Motiv wird so lange fotografiert, bis es genau so ist, wie ich es haben möchte. Und auch kleine scheinbar spontane Momente inszeniere ich: Mein Obst und den Chiapudding zum Frühstück stelle ich in die Morgensonne, aber den Tiefkühlpizzakarton und die leere Bierflasche von gestern räume ich noch schnell aus dem Hintergrund – sonst könnte ja noch jemand denken, ich ernähre mich ungesund.

Warum mache ich das? Weil es scheinbar Regeln gibt, nach denen wir unser Leben inszenieren. In den sozialen Medien wird uns von Influencern oft eine Realität vorgespielt, die zwar authentisch scheint, aber durch und durch geplant ist und in der nichts dem Zufall überlassen ist. Vor allem auf Instagram zählt der visuelle Reiz.

Natürlich ist Authentizität nicht nur ein Thema in den sozialen Medien. Der Cellist Nicolas Altstaedt ist seit 2012 der künstlerische Leiter des Kammermusikfestes Lockenhaus und hat für dieses Jahr das Motto „Authentikos“ gewählt. Er kam durch ein persönliches Erlebnis auf die Idee dazu: Zusammen mit dem Pianisten Jonathan Cohen spielte er die Gambensonaten von Johann Sebastian Bach ein – auf einem modernen Cello mit Stahlsaiten. Noch vor der Veröffentlichung wurde das Projekt von Kritikern zum Scheitern verurteilt, denn eine solche Aufnahme sei ja nicht authentisch, wenn man nicht auf einer Gambe mit Darmsaiten spielt. Doch in einem Blindtest wählten Experten Altstaedts Aufnahme später zur besten.
Kann man alte Musik auch authentisch auf modernen Instrumenten spielen? Das ist eine der Fragen, denen sich die Künstler beim Lockenhaus Kammermusikfest dieses Jahr in Konzerten, aber auch in Vorträgen zum Thema Urtext und Interpretation widmen.

Nicolas Altstaedt, der künstlerische Leiter, bei der Probenarbeit – © Nancy Horowitz

Nicolas Altstaedt, der künstlerische Leiter, bei der Probenarbeit© Nancy Horowitz

Mit Authentizität befasst sich auch die bildende Kunst. Aus diesem Grund hat Nicolas Altstaedt dieses Jahr den ehemaligen Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi eingeladen. Es werden fünf Gemälde von ihm ausgestellt, die er in den Handschriften von anderen Künstlern gemalt hat. Bei diesen Bildern hat er seinen eigenen Namen darunter gesetzt - früher hat er das mehrere Jahrzehnte nicht gemacht und damit Millionen verdient. Er ist für den größten bekannten Betrugsskandal in der Kunstgeschichte verantwortlich. Damit hat er diejenigen vorgeführt, die sich sicher waren, “echte” Kunst zu erkennen.

Wolfgang Beltracchi beim Gespräch – © Jonathan Scheid

Wolfgang Beltracchi beim Gespräch © Jonathan Scheid

Wir als Kammermusik LAB wollen Antworten finden auf die Frage nach Authentizität - was soll das überhaupt bedeuten? Wie authentisch sind Musiker auf der Bühne oder spielen sie nicht immer auch eine Rolle? Wie kreativ und frei ist das Spielen von Werken, die schon seit Jahrhunderten immer und immer wieder gespielt werden? Und wie identifizieren sie sich über die Musik, die sie spielen? Im Rahmen der Konzerte, Vorträge und dem gemeinsamen Zusammenleben in Lockenhaus wollen wir auf diesem Blog solchen Fragen nachgehen. Freut euch auf unsere Interviews, Reportagen und Impressionen aus Lockenhaus.

von Jonathan Scheid

Nachgefragt – Thomas Dunford

Nachgefragt – Thomas Dunford

Die StipendiatInnen 2019

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