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Stille und Raum – Interview mit Johannes Fischer

Stille und Raum – Interview mit Johannes Fischer

Johannes Fischer ist Schlagzeuger und hat beim Kammermusikfest Lockenhaus das Publikum in seinen bann gezogen — mit treibenden Rhythmen, mystischen Klangflächen, die er aus Metallschalen herauszaubert oder bei einer live-Improvisation zum Stummfilm Metropolis zusammen mit dem Pianisten Nicholas Rimmer.
Er hat mit uns über Authentizität und seine musikalische Identität gesprochen:


Bist du auf der Bühne authentisch?
Im Idealfall versuche ich schon, dass der Unterschied sehr gering ist zwischen dem, wie ich hinter der und auf der Bühne bin. Es gibt musikalische Momente wo ich in eine Rolle schlüpfe und wo ich das auch ganz bewusst mache. Es gibt auch Musiktheaterstücke wo man möglichst versucht eine andere Person zu werden und manche Stücke verlangen das auch.
Ich Ich habe viel von traditionellen Musikern gelernt und habe das immer bewundert, dass die eigentlich immer und überall spielen können und es überhaupt keine Rolle spielt ob das jetzt ein Konzert ist oder ist es im Wohnzimmer oder nur für Freunde oder wie auch immer. Das hat mich fasziniert und ich mochte das als Lebenskonzept. 
Und ich kann immer spielen egal ob es notierte Musik oder ob es improvisiert ist ich kann einfach immer spielen wenn es sein muss. Wenn ich Lust habe mich zu äußern kann ich spielen und das finde ich schön. Und dann verwischen auch ein bisschen die Grenzen zwischen Alltag Bühne. Gleichzeitig finde ich das wahnsinnig spannend, dass man auf der Bühne seine Schwächen zulässt. Wir werden eigentlich im klassischen Kanon dazu erzogen keine Schwächen zu zeigen. Und ich finde Musik wird gerade da auch nochmal extrem spannend wo man sich in Bereiche begibt beim Spielen bei denen man auch nicht genau weiß wie komme ich denn hier wieder raus oder gelingt mir das vielleicht nicht? Auch dieses Risiko einzugehen, auch zu scheitern und die eigene Persönlichkeit mit all ihren Schwächen darzustellen. Das finde ich ganz wichtig.

Hat sich der Bezug zum Publikum insofern verändert, dass es nur noch das “Produkt” im Konzertsaal wahrnimmt und nicht mehr den Musiker?
Ja das ist ja überhaupt das spannende denn für uns Musiker ist vor allem die Arbeit vorher das interessante. In der Kammermusik die Probenarbeit oder in der Arbeit mit einem Komponisten. 
Und da geht es auch wirklich um Perfektion und um wahnsinnige Detailbesessenheit. Wenn es dann aber auf die Bühne kommt finde ich spielt die Arbeit  überhaupt keine Rolle. Ich sehe keine Befriedigung darin den Leuten zu zeigen wie viel ich geübt habe. Das hat die überhaupt nicht zu interessieren. Völlig egal ob ich das jetzt vom Blatt spiele oder ob ich das jetzt ein halbes Jahr gespielt geübt habe. Auch egal ob es schwere Musik oder leichte Musik ist. Wir sagen ja auch wir spielen Instrumente und nicht wir arbeiten an den Instrumenten. Und ich mag es diesen Eindruck zu vermitteln das alles aus dem Moment und ganz mühelos kommt.

Ist das für dich Authentizität?
Ich fühle mich dann am wohlsten auf der Bühne. Und ich glaube sobald ich mich am wohlsten fühle und am nächsten dran zu meinen Instrumenten dann bin ich auch am authentischsten dann habe ich auch keinen Abstand zum Publikum.

Das Publikum möchte unterhalten werden, ist es denn dann immer gut authentisch zu sein?
Ja nur so kann ich es überhaupt schaffen dass mir die Leute zuhören, sonst hören sie dem Stück zu, oder sehen: “Wow der hat vier Schlägel in der Hand das ist ja unglaublich”. Die spektakuläre Seite beim Schlagzeug spielen stellt sich ja auch sehr schnell ein. Aber ich glaube es muss viel tiefer gehen und ich muss es schaffen können mit einem Trommelschlag direkt in das Herz, in die Seele, von jemandem vorzudringen. Und dann wird das wirklich eine Gemeinsamkeit und auf der Bühne reagieren wir Musiker ja viel stärker auf ein Publikum als es das Publikum vielleicht merkt. Das ist ja wahnsinnig wichtig. Man spürt von den ersten zehn Sekunden an wie ist das heute? Wo kann ich überhaupt hingehen? Wie finden wir zusammen? Und das finde ich total spannend. Das kann man auch nicht üben, man hat ja kein Übepublikum sondern man kommt in diesen Bühnenraum und da ist eine Gemeinschaft von Menschen und das ist dann auch immer eine Improvisation.

Wenn du in einer ganz anderen Stimmung bist, als die die du auf der Bühne brauchst kannst du das dann überwinden?
Man muss es zumindest versuchen, das ist schon auch die Aufgabe und das ist dann auch Teil der Professionalität: Mit welchen Mitteln schaffe ich es mich in die richtige emotionale Situation zu begeben? Da hat jeder seine eigenen Methoden. 
Ich habe manchmal die tollsten Konzerte gespielt wenn bis drei Minuten vorher wahnsinnig viel Stress war und es war noch nichts fertig und es war alles zu spät und dann gehst du auf die Bühne und jetzt ist es auch egal. Und dann wird es manchmal wahnsinnig gut und andere Konzerte wo man sich drei Stunden vorher perfekt darauf vorbereitet und dann findet man diese Stimmung plötzlich nicht mehr und dann hatte man sie vielleicht zwei Stunden vorher und auf der Bühne muss man erst wieder 15 Minuten warten bis man da ist. Das ist tatsächlich immer sehr unterschiedlich. 
Aber zum Beispiel wenn ich etwas ganz trauriges spiele versuche ich nicht diese traurige Emotion von außen in das Stück zu projizieren sondern ich versuche das aus dem Klang heraus. Wenn ich ein bestimmtes Tonintervall in einer bestimmten Art und Weise spiele mit einer bestimmten Phrasierung und dann stellt sich eine Form von Melancholie ein.
Das ist aber nicht weil ich sie fühle, sondern das ist weil ich sie klanglich reproduzieren kann. Das sind Dinge an denen kann man wirklich arbeiten.

Ist es beim Lockenhaus authentischer?
Also die Grundidee, die seit Gidon Kremer hier das Klima bestimmt ist ja die, dass man versucht abseits vom Konzertbetrieb ein bisschen an die Substanz zu gehen. Worum gehts? Das gemeinsame Musik machen. Also so wie es früher bei der Hausmusik war. Man hat es einfach gemacht.

Wie spürst du das hier?
Das hängt natürlich auch von den Leuten ab die Nicolas einlädt. Da ist schon ein gewisser Grundkonsens da um was es einem geht. Also dass nicht das Ego im Vordergrund steht sondern wie man es schaffen kann aus einem gemeinsamen Stück etwas besonderes zu machen.

Kannst du mit dem Begriff Identität etwas anfangen?
Ja, und zwar ist es mir völlig schleierhaft wie man sich über Reisepässe, Flaggen oder Grenzziehungen identifizieren kann. Das verstehe ich einfach nicht, da fehlt mir irgendwas im Hirn, da komme ich einfach nicht. Denn unser Globus ist nicht so entstanden. 
Eins meiner Lieblingsbücher ist schon immer Stiller von Max Frisch gewesen, wo es genau um Identität geht. Am Anfang des Buches behauptet er, er ist nicht Stiller aber alle wissen er ist es. Er ist es aber nicht oder vielleicht doch? Max Frisch hat an anderer Stelle mal gesagt jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte die er für sein Leben hält. Und da ist ziemlich viel dran.

Was ist deine Geschichte?
Die entwickle ich gerade noch. Aber ich glaube schon, dass Identitätssuche eine Rolle spielt dafür, dass man eine Idee dafür bekommt was mache ich eigentlich hier? Wozu bin ich denn da? In was bin ich vielleicht auch gut. Und das spannende ist dann die eigene Identität aus sich heraus zu definieren und sich nicht so sehr davon abhängig zu machen wie einen andere Leute sehen. Das führt natürlich auch dazu — und das ist auch eine Sache die ich mit meinen Studenten tagtäglich erarbeite — damit klarzukommen, dass das was man tut, woran man glaubt, was man liebt, andere Leute ganz schlecht finden können. Und damit muss man auch klar kommen. Das ist auch Teil der eigenen Identität. Wie komme ich damit klar, dass mir jemand nicht zuhört?

Welchen Teil deiner Identität nimmt Musik ein?
Alles. Relativ einfach. Die Wechselbeziehungen zwischen dem echten Leben und dem Musik machen sind so stark und so unterbewusst, dass eigentlich alles immer in Beziehung zueinander gesetzt. Und eigentlich arbeitet man immer also selbst wenn ich irgendwo im Wald sitze und den Vögeln zuhöre — und das ist auch schon wieder Arbeit. Zwar ist es bei den Vögeln nur ein Revierkampf aber für uns ist es total toll zum Beispiel einer Feldlerche zuzuhören. Und das hat alles immer miteinander zu tun. 
Extrem komplex — Schön komplex.

Wie beeinflusst Musik deine Identität und wie kannst du die Musik mit deiner Identität beeinflussen?
Man lernt einfach zuzuhören und das hat wirklich finde ich einen ganz wichtigen Sozialpolitischen Aspekt, denn wir lernen lesen, wir lernen schreiben, wir lernen sprechen aber wir lernen nie hören. Das Ohr ist einfach da und es ist von Anfang an offen und es lässt alles rein. Wir hören unser ganzes Leben aber wir lernen eigentlich nie zu hören. Wir haben dafür keine Kulturtechnik entwickelt. Wir hören um Gefahren abzuschätzen und wir hören Musik zunächst mal mit der gleichen Sinneswahrnehmung und das eigentliche Hören findet im Gehirn statt und nicht im Ohr. 
Und da kommt unsere Identität wieder ins Spiel. Wir können nur das hören was wir schon vorher in unserem Leben an Erfahrungshorizonten mal erlebt haben und das spiegelt sich dann in der Hörerfahrung wieder.


Kannst du da rausbrechen und was hören was du noch nicht kennst?
Ja man muss sich dazu zwingen und das immer wieder suchen. Man muss sich immer wieder in diese frühkindliche Phase zurückversetzen in der man eigentlich alles zum ersten Mal hört. Das ist ja der totale Wahnsinn. Und man kann das zum Beispiel tun indem man einfach auch in den Konzerten sehr lange Stille produziert aus der heraus man spielt. Es gibt ein Stück von Xenakis, da sind Riesenpausen dazwischen um einfach diesen Raum zu spüren. Wahrnehmungspsychologie finde ich ist ein ziemlich wesentlicher Bestandteil vom Musik machen und vom Konzertleben auch.

Hören die Leute denn genau hin oder wird nur geübt um der Beste zu werden?
Ja es gibt natürlich immer beide Seiten. Es wird immer die geben, die darüber hinaus kommen und eine andere Perspektive auf die Dinge haben und dadurch was ganz einzigartiges und wunderbares entwickeln können und andere die einfach total sauber spielen aber eigentlich nichts zu sagen haben. Mir ist es viel lieber auf der Bühne Fehler zuzulassen und Dinge die schief gehen, aber ich habe panische Angst davor nichts zu sagen zu haben. Das würde mich beschäftigen. Wenn was schiefgeht. Pff. Ja ist das so aber ich glaube wenn ich nichts zu sagen hätte würde ich nicht spielen. Da muss man dann schon sehr konsequent sein. Und als Komponist genauso wenn man das Gefühl hat man hat im Moment nichts zu sagen ist es manchmal einfach besser nichts zu sagen - sondern Surfen zu gehen.

Wolfgang Beltracchi – Eine Collage

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Wie authentisch kann eine Fälschung sein? Wolfgang Beltracchi zu Besuch in Lockenhaus

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